Keine Angst vor China!

Aus aktuellem Anlass hier einmal Grundsätzliches zu China. "Aus aktuellem Anlass?" - Ja, weil Weihnachten beinahe vorbei ist und wir alle unsere Geschenke ausgepackt haben, die überwiegend aus China kommen, und die wir morgen gegen andere Produkte made in China eintauschen werden! Außerdem hat sich Trump wegen Taiwan jüngst mit China angelegt - na, das fängt ja gut an. 

Wir lassen Trump ausnahmsweise erst einmal beiseite. Über sein Verhältnis mit China zu sprechen, wird noch Zeit genug sein. Zunächst einmal ärgert uns China aus zwei Gründen: 1. es ist angeblich Wirtschaftsweltmacht und 2. es ist keine Demokratie. Wir fragen uns natürlich, wozu wir uns den ganzen Stress mit der Demokratie antun, wenn es ohne doch besser gehe! Dass man kultiviert sein kann, ohne christlich zu sein, damit haben wir uns ja abgefunden. Mit dem Christentum haben die Meisten von uns es auch nicht mehr besonders. Dass man jetzt aber auch noch wirtschaftlich erfolgreich sein kann, ohne demokratisch zu sein, macht uns stutzig. Natürlich begrüßen wir die Menschenrechtsverletzungen in China nicht. Aber sollen wir uns deshalb in chinesische Angelegenheiten einmischen? Die Regierungschefs, die China besuchen, tun das ja auch nur verhalten. Aber hier geht Einiges durcheinander, sowohl in der Fragestellung als auch sachlich! Also bringen wir erst einmal Ordnung in die Sache.

Die Frage, um die es letzten Endes geht, ist die, ob, und falls ja, wie sehr, wir uns in die inneren Angelegenheiten Chinas einmischen sollen und wollen. Selbst, wenn wir zu dem Schluss kämen, dass es moralisch geboten sei, sich einzumischen, könnten wir (frei nach Brecht) das 'Fressen' ja immer noch über die Moral stellen. Nun könnte es allerdings auch sein, dass diese Gegenübersetzung, die immer vorgenommen wird, wenn von unserem Verhältnis zu China die Rede ist, gar nicht die Realität widerspiegelt. "Idealist!" höre ich jetzt Einige rufen - "Wenn schon!", könnte ich zurück rufen, tue es aber nicht. Denn diejenigen, die sich auf die Fahne schreiben, den 'Realismus' gegen den Idealismus zu verteidigen, bedienen sich letztlich auch nur eines rhetorischen Tricks, einer Art der Selbstdarstellung. "Sehr her, ich bin Jemand, der seine eigenen Gefühle um des Gemeinwohls willen im Griff hat!", wollen sie damit aussagen. Tatsächlich nehmen sie einfach nur die bequemste Position ein! Denn selbst, wenn sie des Irrtums überführt werden, bleibt ihre heroische Pose im Gedächtnis. Ihre Absichten waren lauter: sie wollten die Gemeinschaft nur vor einem Irrtum schützen. Der positiv Denkende steht nur als Trottel da, wenn er Unrecht hatte. Er hätte die Gemeinschaft beinahe unabsehbaren Risiken ausgesetzt, oder hat es tatsächlich getan! In einer Risiko-Gesellschaft, oder besser: einer Risiko-Vermeidungs-Gesellschaft, ist die Position des 'Weißsehers' die riskantere. 

Aber zurück zu China. Zunächst einige Fakten. China ist wirtschaftlich erfolgreich, weil es rückständig war und großen Nachholbedarf hatte. Es ist, wie Deutschland und Japan nach dem zweiten Weltkrieg, erfolgreich, weil es, wie alle asiatischen Kulturen, über eine straffe Top-Down-Organisation verfügt, eine quasi-militärische Befehls-und-Gehorsams-Struktur, in der die Befehlsempfänger über keinerlei Rechte verfügen oder aber ihre verbrieften Rechte nicht durchsetzen können (es sei denn, sie verfügen über Beziehungen)! Außerdem kann es aus einem unerschöpflichen Pool an Arbeitskräften aller Qualifikationsstufen schöpfen, vom einfachen Handlanger bis zum Top-Wissenschaftler. Es ist weiterhin erfolgreich, weil es zur Zeit aufgrund seiner Weitläufigkeit noch über viele ungenutzte Ressourcen verfügt, die in Europa etwa zum Teil schon während der Neuzeit ausgebeutet wurden, zum Teil aufgrund einer Laune der Natur kaum je vorhanden waren, wie seltene Erden. Bevor wir zu den offenkundigen Nachteilen kommen, schauen wir uns diese Vorteile einmal genauer an.

Die Top-Down-Struktur Chinas ist für einen freiheitsliebenden Menschen wenig erstrebenswert. Sie funktioniert aber sehr gut - in einer Produktionsgesellschaft! Ohne auf den produzierenden Sektor ganz verzichten zu können, entwickeln sich aber die führenden Gesellschaften der Welt mehr und mehr zu Dienstleistungsgesellschaften und automatisieren den produzierenden Sektor zunehmend. Aus beiden Gründen werden in dem Bereich, in dem Chinas Form der Menschenführung von Vorteil ist, wie sie es auch in Japan und Deutschland in den 50ern und 60ern war, Chinas Vorteile in Zukunft immer weniger wert sein. Seine Bodenschätze werden nicht ewig halten. Die Masse an Arbeitskräften wird durch eine rapide Überalterung zum Problem werden. Der demographische Wandel findet in den westlichen Ländern in vergleichsweise moderatem Tempo statt. In China wird er in einer Geschwindigkeit über das Land kommen, die es schwer machen wird, gegenzusteuern. 

In der neuen Zeit, an deren Schwelle wir stehen, werden zudem Kreativität und die Fähigkeit zu selbständigem Arbeiten, die in Stellenausschreibungen schon heute zu den Standardanforderungen gehören, von größerem Vorteil sein als Gehorsam. Da müsste China völlig umdenken! Das Beispiel Hong-Kongs zeigt aber, dass Menschen, die selbständiges Denken gewohnt sind, und sei es nur in chinesischen oder deutschen Ausmaßen, dazu neigen, dieses auch politisch einzusetzen, was zu Machtverlust der Führung führt. Und Machtverlust mag niemand, nicht einmal der amerikanische Präsident! So ist es fraglich, ob China in der Lage sein wird, diesen Prozess der geistigen Flexibilisierung und Liberalisierung weit genug zu gehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Kommen wir nun zu den offensichtlichen Problemen. Die Desertifikation, der Verlust großer Flächen Ackerlandes an die Wüste, schreitet im Zuge der Erderwärmung immer stärker fort. Im Unterschied zu Russland, Kanada und den USA kann China diesen Verlust nicht durch Gewinne im Norden wettmachen (oder kaum). Umweltverschmutzung und Übernutzung tun ihr Übriges und vergrößern den Verlust an Ackerland. 

Es bleibt festzuhalten, dass China zwar der bedeutendste Produktionsstandort der Welt ist (auch wenn schon große Kapazitäten nach Süd-Ost-Asien und Afrika ausgelagert wurden). Das Geld der chinesischen Unternehmer liegt aber überwiegend auf amerikanischen Banken. Und viele chinesischen Milliardäre haben auch schon ihren Wohnort nach Amerika verlegt, weil sie der chinesischen Regierung nicht trauen. Die chinesische Art der Politik, die Ein-Parteien-Autokratie, führt nämlich zur Unberechenbarkeit der Regierung. Und in diesem Punkt überwiegt das Eigeninteresse wohl die kulturelle Prägung. Wer es sich leisten kann, wechselst das Regime und bevorzugt die Demokratie. Im Zeitalter der Langstreckenflüge und der Migration geht das auch ohne Putsch.

Was also einst Chinas Vorteil war, seine Fähigkeit aus dem Stand heraus eine bestimmte Richtung einzuschlagen und dabei alle Widerstände notfalls mit Gewalt zu brechen (Stichwort: Maos Großer Sprung), schlägt also in einen Nachteil um! Denn nachdem die Unternehmer von den letzten Kursänderungen profitiert haben, fürchten sie, dass die nächsten zu ihrem Nachteil sein könnten, wie schon viele Kursänderungen in der chinesischen Geschichte beinahe über Nacht aus Gewinnern Verlierer gemacht haben und umgekehrt. In früheren Epochen hatte man kaum Gelegenheit, solchen Schicksalsschlägen zu entkommen. Im Zeitalter globaler Freizügigkeit des Kapitals ist das durchaus möglich! Auch gut ausgebildete Spezialisten verlassen China oder bleiben einfach an ihrem Ausbildungsort wie London oder Boston. Es gibt zwar in den letzten Jahren einen Trend zur Rückkehr nach China. Dieser Trend wird aber nur so lange anhalten, wie die Arbeitnehmer mit ihren Arbeitsbedingungen in China zufrieden sind und kann sich jederzeit wieder umkehren.

China ist also nicht so übermächtig oder aufsteigend wie es sich selbst und die Welt gerne glauben machen möchte. Dass China in Selbstbeweihräucherung so groß ist, hat Tradition. Jahrtausendelang ging es davon aus, dass außerhalb seiner Grenzen nichts existiere, was der Rede wert sei. Es hielt sich als 'Reich der Mitte' für den Nabel der Welt. Von diesem hohen Ross herunterzukommen, fällt China so schwer wie jeder anderen Nation auch. Nationalistische Bewegungen überall auf der Welt zeigen, dass wir uns in Zeiten der Unsicherheit nach den vermeintlich guten, alten Zeiten zurücksehnen, in denen wir uns für die Größten hielten. Größenwahn gilt ja nicht umsonst als angenehmste Form des Wahnsinns!

Außerdem hoffen viele Europäer noch, China werde der 'Pax Americana', die scharfsinnige Beobachter wie der Soziologe Max Weber schon nach dem Ende des ersten Weltkriegs kommen sahen, doch noch zu verhindern und eine Weltordnung zu schaffen, die auf einem Gleichgewicht mehrerer Mächte basiert. Zu diesem Zweck muss man der Realität aber eben Gewalt antun und China größer machen, als es tatsächlich ist oder jemals sein wird.

Wir brauchen uns also nicht davor zu fürchten, China die Leviten zu lesen, wenn es um seine Menschenrechtspolitik geht. Natürlich hört die chinesische Regierung das nicht gerne. Aber erstens ist sie von uns, den Hauptabnehmern ihrer Produkte, ebenso abhängig wie wir von ihr. Zweitens kann man eine Regierung nicht als legitim betrachten, die nicht vom Volk gewählt ist. Wie Papst Franziskus die evangelischen Kirchen nicht als 'Kirchen im eigentlichen Sinne' ansah, sollten wir das mit Unrechtsregimen wie China auch nicht tun, selbst wenn wir mit ihnen Handel treiben. Außerdem tun wir China einen gefallen, wenn wir ihm helfen, sein Rechtssystem und politisches System zu modernisieren. Was unsere eigenen Interessen anbelangt, ist es vorteilhafter, wenn China ein Unrechtsstaat bleibt und sein Kapital in den Westen abfließt. Was soll China schon tun? Im schlimmsten Fall bauen wir eben selbst Fabriken in Äthiopien, wie mancher chinesische Fabrikant es jetzt tut! Der Umweg über China hat immer weniger Sinn!

Sollen wir China auf die Finger klopfen? Ja! Wollen wir es? Jeder Politiker, der es heute vermeidet,  das Thema Menschenrechte auszusprechen, hat nicht nur Blut an den Händen. Er wird in 10 oder 20 Jahren, wenn der chinesische Drache mit Sauerstoffmaske im Pflegeheim liegen wird, von der nachfolgenden Generation dafür ausgelacht werden, vor diesem Papiertiger gebuckelt zu haben!

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0