Zeitalter der Autokraten? II

Neuerdings ist es Mode geworden, angesichts zunehmender autokratischer Tendenzen in der Weltpolitik historische Vergleiche anzustellen. Das ist verständlich, gibt die Erfahrung doch einen gewissen Halt. Das wird aber zum Problem, wenn man keine Maßstäbe hat, um zu unterscheiden, welche Vorgänge mit den aktuellen vergleichbar sind und welche nicht. Dazu ist ein Geschichtskonzept hilfreich, wenn nicht nötig, über das nicht alle verfügen. Die meisten Kommentatoren, die unsere Zeit mit den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts vergleichen, haben so etwas jedenfalls nicht!

Auf den ersten Blick erscheint es gar nicht als allzu dumm, Prozesse mit nicht allzu lange zurückliegenden zu vergleichen. Wenn man dabei aber auf Beispiele wie Hitler oder Stalin stößt, führt das leicht zu einer Radikalisierung der Debatte, die vermieden werden könnte. Diese Vergleiche sind dabei gar nicht böse gemeint. Sie drängen sich ganz einfach auf, weil sie so drastisch sind. Schließlich gilt Hitler als der berühmteste Mann des 20en Jahrhunderts! Evolution wie Geschichte haben im Menschen Denkstrukturen bevorteilt, die besondere Dinge, Personen und Ereignisse als erstes erinnern lassen. Das klingt jetzt nur logisch. Es erscheint uns aber eben deshalb logisch, weil es schon immer erfolgreich gewesen ist! Zum Glück gibt es auch Kommentatoren, die darauf hinweisen, dass wir uns natürlich nicht in der gleichen Situation befinden wie zwischen den Weltkriegen und deshalb kein zweiter Hitler zu erwarten sei (was Manche enttäuschen mag). Das ist aber wenig hilfreich, nachdem das Kind nun einmal in den Brunnen gefallen ist und das 'Kopfkino' läuft! 

Damals war die internationale politische Situation völlig anders. Es gab Kolonialreiche und die stärksten Industrienationen der Welt hatten einen entsetzlichen Vernichtungskrieg hinter sich, auf den jede von ihnen auf ihre Weise reagierte. Worte wie 'Ehre' hatten einen ganz anderen Klang und nicht nur in Deutschland gab es eine große arbeitende Klasse, die zu großen Teilen noch während des Krieges intellektuell in den Händen von Staat und Kirche gewesen war. Der Staat hatte sich in Deutschland nahezu verabschiedet und hörte in Frankreich nicht auf, sich lächerlich zu machen. Die alten autoritären Strukturen der Vorkriegszeit bestanden aber in den Köpfen weiter.

Heute gibt es in den stärksten Industrienationen kaum noch etwas, das man mit der Arbeiterklasse von damals vergleichen könnte. Die Mittelschicht macht, je nachdem, wie man rechnet, etwa 80% der Bevölkerung aus. Das größte Problem in Deutschland besteht darin, das etwa 40% der heute Erwerbstätigen im Alter Armut droht, weil sie kaum noch Rücklagen bilden können. Dieser Zustand ist empörend und ernst! Aber man kann ihn nicht mit der Situation der Bevölkerung der Länder Mitteleuropas und der USA in der Zeit der Weltwirtschaftskrise vergleichen. 

Abgesehen von ihrer wirtschaftlichen Situation ist die Mehrheit der Menschen heute vielseitig informiert. Wie mein Artikel über "Bubbling" deutlich gemacht hat, schließen sie sich nun in ihre selbstgebauten Informations-Zellen ein. Aber deren Lage und Größe können sie selbst wählen. Und man kann auch wählen, das zu unterlassen. Diese Zersplitterung der Gesellschaft kann man beklagen. Sie hat aber neben allen möglichen Nachteilen einen erfreulichen Effekt: ein so zersplittertes Volk wird sich hinter keinem Demagogen einen! 

Was wir heute in den Ländern erleben, in denen Populisten und Autokraten die Gunst der Stunde nutzen, ist zum Einen ein Aufstand der Vernachlässigten und tatsächlichen wie befürchtenden Globalisierungsverlierer, wie man in meinem Artikel zur Autokratie nachlesen kann. Es ist daraus resultierend auch im äußersten Fall die von dem französischen Diplomaten, Politikwissenschaftler und Historiker Alexis de Tocqueville 1835/40 in seiner Arbeit über "Die Demokratie in Amerika" befürchtete 'Diktatur der Mehrheit'! Eine solche Diktatur hat Tradition und tobte sich schon in den Hexenverfolgungen der Neuzeit aus. Von den Anhängern von Autokraten wird dieser Zustand gerne damit gerechtfertigt, dass er doch in den Rahmen der Demokratie falle, also demokratisch sei. Das zu diskutieren, wird ein sich anderes Mal Gelegenheit bieten. Nur kurz sei angemerkt, dass sie eine krankhafte Form der Demokratie darstellt!

Mehr als knapp die Hälfte der Bevölkerung kann jedenfalls offenbar keiner der neuen Autokraten und Demagogen hinter sich vereinen. In Mittel- und Westeuropa sind es bislang sogar weitaus weniger.  Ein Nachteil der Fragmentierung der Gesellschaft ist, dass es schwer ist, eine überwältigende Mehrheit hinter einer Sache zu vereinigen. Ist diese Sache aber schlecht, wie Beschneidung der Pressefreiheit und Ausgrenzung es sind, schlägt dieser Nachteil zum Vorteil um! Um jedenfalls ein genaueres Bild von der Lage zu bekommen, müsste man sie von einer höheren Warte aus betrachten und in die Menschheitsgeschichte einordnen, was hier natürlich nicht geschehen kann. Aber ich gebe einen Tipp: man schaue sich doch die späte römische Republik an. Doch dazu an anderer Stelle und zu anderer Zeit mehr -   

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