Einen Jahresrückblick habe ich nicht gegeben. Derer gab es meiner Ansicht nach hervorragende genug! Und meistens konzentrieren sich solche Rückblicke doch auf die Katastrophen und Irrtümer. So eine Bilanz ist trotzdem durchaus sinnvoll. Doch warum? Die Vergangenheit interessiert doch - ehrlich gesagt - nur, wenn sie irgend eine Relevanz für die Zukunft hat. Jahresrückblicke haben insofern einen therapeutischen Sinn, als sie uns helfen, mit dem Unerfreulichen im endenden Jahr unseren Frieden zu schließen. Bei der Feier zum Jahreswechsel in Peking forderte der Sprecher etwa die Anwesenden auf, alles Gute und Schlechte des vergangenen Jahres zu vergessen. Das ist interessant! Die Chinesen vergessen also auch das Gute! Vielleicht ist das ein taktischer Vorteil, vielleicht das Gegenteil. So gedenken wir bei dieser Gelegenheit jedenfalls auch der Toten. Einen praktischen Nutzen haben sie darüber hinaus dann, wenn wir uns in ihnen unseren enttäuschten Erwartungen stellen und zum Beispiel fragen, warum wir erwartet haben, dass Großbritannien in der EU bleibe und Hillary Clinton Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika werde. Die Umfragen waren schuld - natürlich. Vielleicht, aber warum haben wir der zweiten Glauben geschenkt, nachdem uns schon die erste getäuscht hatte?
Sicher saßen über die Feiertage zahllose Angestellte von Umfrageinstituten weinend über ihren Laptops und verzweifelten an ihrer Profession. "Was ist da bloß falsch gelaufen? Was haben wir übersehen?", mögen sie sich gefragt haben. Vermutlich lag hier, wie auch in Großbritannien, ein Rückkoppelungseffekt vor. Weil sie so sehr davon überzeugt waren, dass ihre Sache auch ohne sie gewinne, blieben viele Leute der jeweiligen Wahl fern und ermöglichten der Gegenseite so erst den Sieg. Das sollte uns allen zu denken geben und uns auffordern, für das einzustehen, woran wir glauben, gerade dann, wenn wir dafür nur zum Wahlbüro gehen müssen. Wir werden also im neuen Jahr vorsichtiger sein, was Prognosen anbelangt und lieber selbst nachhelfen als blind zu vertrauen! Gut! Das ist doch ein lobenswerter Vorsatz. Einen Dominoeffekt wird der Austritt Großbritanniens jedenfalls nicht haben. Allenfalls wird es ein interessantes Experiment, das die Frage klären helfen wird, was geschieht, wenn man aus der EU austritt. Diese Frage haben sich bestimmt viele schon gestellt. Jetzt werden wir es erfahren. Und vielleicht wird das Ergebnis dem einen oder anderen EU-Austritts-Populisten den Mund stopfen. Wir werden sie jedenfalls alle gerne daran erinnern, dass sie einmal welche waren.
Venezuela führt auch gerade ein Experiment durch. Die Fragestellung der Untersuchung lautet: wie unterhält ein ölförderndes Land eine populistische Einparteienherrschaft trotz galoppierender Inflation. Erst einmal sollen größere Geldscheine gedruckt werden, damit man seinen Apfel nicht mehr mit einem Bündel davon bezahlen muss. Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis und Speise-Öl sind dort übrigens nur noch unter dem Ladentisch zu Schwarzmarktpreisen zu haben, während Benzin hoch subventioniert wird. Das ist verrückt, und so lange man aus der Ferne zuschaut, interessant!
Kommen wir aber zu den Faktoren, die wir selbst jetzt nicht mehr in der Hand haben. Das neue Jahr 2017 wird vermutlich (Vorsicht, Prognose!) ein Jahr der neuen Männerfreundschaften. Frau Merkel ist hier also ausgenommen. Die muss ja jetzt angeblich auch das freie Abendland auf ihren Schultern tragen, hat für gesellige Runden, einen Plausch am Telefon, Twittern, WhatsApp und andere freundschaftspflegende Maßnahmen also auch gar keine Zeit. Eine dieser Freundschaften wird aber Edward Snowden, dessen Zauberwürfel (Rubik's Würfel) neben der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung der Vereinigten Staaten ausgestellt werden sollte, möglicherweise Unannehmlichkeiten bereiten. Es könnte sein, dass Herr Putin seinem neuen Freund im Weißen Haus Snowden als Antrittsgeschenk ausliefert. Trump hatte ja seinerzeit, als der noch auf der Flucht war, Snowdens Kopf gefordert. Herr Putin sollte nur vorsichtig sein, weil Trump gerne einmal einen Geschäftspartner über die Klinge springen lässt. Da treffen also KGB (bei dem Putin ja seine Karriere begann) und Manhattan (sprich: Raubtierkapitalismus - als hätte es je einen anderen gegeben) freundschaftlich aufeinander. Man fühlt sich an Nixon und Chruschtschow erinnert, deren Freundschaft ja nur bis zum nächsten Spionageflugzeug-Abschuss. Nixon hatte Chruschtschow nach dessen freundlichem Besuch in den USA, der für Chruschtschow übrigens ein großer PR-Erfolg wurde, ein amerikanisches Spionageflugzeug so etwas schickt man seinem Freund doch nun wirklich nicht, auch wenn es sich um Spitzentechnologie handelt. Und wenn man es schickt, dann, damit er es behält. Das tat Chruschtschow dann auch, wenn auch in Einzelteilen. Er war nicht erfreut, und mit der Annäherung war es erst einmal vorbei!
Nixon war übrigens auch so einer. Er freundete sich gerne mit den Führern von Schurkenstaaten an. Chruschtschow war nicht der einzige. Auch Mao reichte Nixon die Hand. Dem Mao, der durch seine Politik des 'großen Sprunges nach vorne' den Hungertod von Millionen Menschen verursacht und in Kauf genommen hatte, und in der 'Kulturrevolution' noch einmal Millionen über die Klinge springen lies und Chinas Kulturerbe einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zugefügt hatte, vom Verhältnis zwischen den Generationen ganz zu schweigen, hatte er doch die Jungen gegen die Alten aufgehetzt. Das Verhältnis zwischen jung und alt auch in diesem Jahrhundert in China noch einmal auf eine Zerreißprobe gestellt werden, aber wohl noch nicht 2017. Mao jedenfalls nannte sich selbst ein Ungeheuer - Nixon gegenüber. Da muss der alte Handelsvertreter geschluckt haben. Freundschaft war es sicher nicht, was Nixon und Mao verband. Das immerhin kann man ihm nicht vorwerfen.
Abgesehen vom persönlichen Aspekt gibt es da eben noch den welthistorischen und geostrategischen. Das Beispiel Chruschtschows ist für das Verhältnis zwischen Russland und den USA, ja Russland und dem Westen typisch. Russland geht auf den Westen zu, möchte mitspielen und ernst genommen werden. Der Westen lächelt, reicht Russland die Hand und tritt ihm anschließend auf den Fuß, um klar zu machen, dass Freundschaft mit den USA nicht auf Augenhöhe möglich ist. Das soll kein Antiamerikanismus sein. Wenn es trotzdem welcher ist, dann weil die Amerikaner Menschen sind. Und einem Menschen, wie auch allen anderen Gattungen, fällt nichts so schwer, als seine tatsächliche Macht nicht auszuspielen. Er wäre auch dumm! Man kann von den Vereinigten Staaten von Amerika, da sie nun einmal tatsächlich die reichste und mächtigste Nation der Erde sind, nicht erwarten, dass sie ständig auf den Knien gehen, um mit allen Anderen auf Augenhöhe zu sein. Hin und wieder beugen sie sich vielleicht einmal herunter, wie unter Obama, aber auch nicht zu weit. Auch Obama hat keine Macht abgegeben, nach außen so wenig wie nach innen. Kein Präsident der Vereinigten Staaten hat das, so wie auch kein Milliardär ärmer wird. Und, was Russland angeht, so muss man schon sagen, dass es einen Hang dazu hat, mehr zu gelten, als es ist. Es möchte gewissermaßen, wie eine Aktie, over-rated werden und sehnt sich nach den Zeiten vor Reagan, als die Welt auf seine potemkinschen Dörfer noch hereinfiel. Das wird eine interessante Freundschaft zwischen zwei solch ausgebufften Poker-Assen!
Was den Krieg in Syrien anbelangt, sind Prognosen kaum möglich. Man hofft jedes Jahr, dass er aufhört. Das Land wieder aufzubauen, wird schwer und langwierig genug. Hoffentlich wirkt sich die, kurze oder lange, Männerfreundschaft zwischen Trump und Putin wenigstens positiv auf ihn aus, hilft also ihn zu beenden.
War sonst noch etwas, das man im Zusammenhang mit 2017 (ab Ende Januar übrigens ein Jahr des Hahns) erwähnen sollte? Steht etwas wichtiges an? Ich glaube nicht. Merkel wird wiedergewählt und Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident. Aber das ist weder wichtig noch eine Prognose, sondern nur Routine. Man soll sich darüber nicht beklagen! Mir persönlich ist eine solche Routine lieber als so manche böse Überraschung.
In diesem Sinne wünsche ich ein 2017, das arm an bösen und reich an guten Überraschungen ist!
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