Die neue Empfindsamkeit - was Politik mit Gefühlen zu tun hat

Dieser Tage scheint eine neue Emotionalität, eine neue Empfindsamkeit in der politischen Landschaft Deutschlands Einzug zu halten! Der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, jedenfalls gilt als Gefühlsmensch und zeigt das auch deutlich in seinen Reden. Von der Gegenseite wird ihm daher vorgeworfen, Inhalte durch Gefühle ersetzen zu wollen. Sogar der Vergleich mit Donald Trump ist in diesem Zusammenhang gefallen (falls ich mir das jetzt nicht nur ausgedacht habe). 

Dabei begann diese neue Emotionalität scheinbar eher mit der Pegida-Bewegung und bis dahin anständigen Bürgern, die plötzlich anfingen, Häuser in Brand zu stecken, die als Unterkünfte für Flüchtlinge genutzt werden sollten. Dass die Kanzlerin wegen ihrer ermunternd gemeinten Bekräftigung "Wir schaffen das" so hart angegangen wurde, ist nicht anders zu verstehen als als Reaktion auf zurückgewiesene Gefühle. Sachlich ist an Merkels aufmunternd gemeinten Worten nichts auszusetzen. Indes: sie wurden als Gleichgültigkeit gegenüber Gefühlen wahrgenommen. Seitdem ist viel die Rede davon, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen, auch wenn diese sich nicht statistisch begründen ließen. Und auf die Statistik hat sich die Politik bisher verlassen!

Allerdings wollen wir nicht geschichtsvergessen sein! Schon früher war Politik eine zutiefst emotionale Sache. Und ich meine nicht den Nationalsozialismus. Helmut Kohl wurde am 10.05.1991 in Halle mit Eiern beworfen und Gerhard Schröder am 17.05.2010 im brandenburgischen Wittenberge.  Das waren damals durchaus emotionale Zeiten in der deutschen Politik, zumindest im Osten der Republik. Die Anschläge der RAF in den 70er Jahren waren nicht weniger emotional, rein rational waren sie nicht erklärbar.

Aber wir wollen philosophisch werden. Im Allgemeinen scheint die Politik ohnehin eher das Reich der Vernunft zu sein oder diesen Status zumindest anzustreben. Die Religion ist demgegenüber schon eher ein Refugium der Emotionen, und zwar der ganz großen! Große Akte der Gewalt werden in der Regel, zumindest wenn sie in Friedenszeiten stattfinden, von starken Emotionen begleitet wie die Zerstörung der Babri-Moschee in Indien 1992 oder jedes islamistische Selbstmordattenat. Wenn etwa Flaggen verbrannt werden, handelt es sich meist um amerikanische oder israelische. Bei beiden kann, da die Täter in der Regel Moslems sind, eine Beteiligung der Religion kaum bestritten werden.

Betrachtet man die beiden zentralen Handlungen der Demokratie und des Katholizismus, den Wahlgang und die Eucharistie, so stellt man fest, dass zwar beides sehr geordnet abläuft, die Eucharistie aber doch zumindest von verinnerlichten Gefühlen begleitet wird. Zumindest erwartet man von einem frommen Christen, dass er etwas dabei empfindet, wenn er den Leib seines Gottes aufnimmt, der für seine Sünden gestorben ist! Das kann natürlich gespielt sein. Der Gang zur Wahlurne hat hingegen etwas eher nüchternes und ist auch kein Gemeinschaftserlebnis, da die Wähler ja nicht ihm Rahmen einer gemeinsamen Zeremonie zur Wahl schreiten, sondern jeder für sich, wann immer er es am Wahltag während der Öffnungszeiten des Wahlbüros wünscht. Das Ergebnis der Wahl wird dann aber wieder von Emotionen begleitet, die wohl auch ehrlicher sind als die manches religiösen Heuchlers.

Tatsächlich ist die Religion kein Hort der Emotion. Sie ist eine Form, Emotionen zu kanalisieren. Ausufernde Emotionen sind auch in einer Kirche verdächtig. Der Priester oder Pfarrer muss sie moderieren.

Auch in der Politik muss man zwischen dem unterscheiden, was für einen Politiker und dem, was für einen Bürger angemessen ist. Emotionen zu schüren gilt in der Politik als Zeichen schlechter Manieren. Auch werfen Politiker einander gerne vor, ideologisch zu argumentieren, also an etwas zu glauben und sich von ihrem Gefühl beherrschen zu lassen, und sei es nur von dem der Loyalität gegenüber der eigenen Partei. Das Gegenteil der ideologischen Argumentation wäre dann die rationale, die auf sachlichen Abwägungen basiert. 

Wer diese rhetorische Finte anwendet, stellt sich selbst als den Einzigen dar, der wirklich an der Diskussion teilnimmt. Alle anderen fühlen ja nur, was einer rationalen Diskussion abträglich erscheint. Der Vernunft schreibt man dabei die Rolle des Wegweisers zu, der den richtigen Weg zeigt, den Weg in Richtung Gedeihen und Glück. Aber diese Rechnung wird immer weniger akzeptiert. Wachsende Bildung führt dazu, dass immer mehr Menschen feststellen, dass auch Wissenschaftler sich in kaum einem Punkt allgemein einig sind. Auch sie zerfallen in mindestens zwei Lager. Was unterscheidet Wissenschaft dann noch von Religion und Vernunft, das Metier der Wissenschaft vom Glauben?  Wozu sich noch verbieten zu fühlen, wenn es nicht zu eindeutigeren Ergebnissen führt?

Kant verfolgt in seiner Religionsschrift, im Abschnitt über das radikal Böse in der menschlichen Natur, wo er der Frage nachgeht, ob der Mensch im Grunde gut oder schlecht genannt werden könne, die Motivation einer Handlung bis zu einem Punkt, ab dem kein weiterer Grund mehr angegeben werden könne. Dort endet die Wissenschaft und das Prinzip von Ursache und Wirkung. Diesen Punkt hält er für absolut notwendig, wenn der Mensch noch als moralisches Wesen betrachtet werden solle! Meine Handlungen können nur dann mir als Person zugeschrieben werden, wenn ich irgendwann gezwungen bin, zu sagen: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Und das ist ein höchst emotionaler Akt! Dieses Eingeständnis, letztlich aus einem tief empfundenen Gefühl zu handeln, ist keine Feigheit, sondern das Einstehen für das eigene Handeln, vorausgesetzt, dass man auch bereit ist, die Konsequenzen dafür zu tragen und sich nicht ins Dunkel der Nacht davonstielt! 

Den Wähler als moralisches Wesen zu begreifen, kann auch der politischen Landschaft in Deutschland nicht so schlecht tun. 

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