Eine Stammesfrage

Die Frage, warum sich heutzutage so viele Menschen gegen ihren Staat stellen, lässt uns nicht los. Natürlich ist es am einfachsten, zu behaupten, es handle sich gar nicht um „ihren“ Staat, weil sie Ausländer seien, Asylanten oder Migranten oder „Menschen mit Migrationshintergrund“, wie man heute oft sagt, um das „M“-Wort nicht zu sagen. Diese umständliche Umschreibung klingt weniger abwertend als „Kanaken“ (was, wie wir alle wissen, nur Menschen heißt), ist es aber nicht. Sie ist eben nur umständlicher, länger, meint aber das gleiche und wird auch genauso gebraucht. Der Vorteil, diesen Ausdruck zu verwenden, liegt nur darin, dass wir alle das Gleiche sagen können, Rechte, Linke und Gemäßigte (falls es so etwas geben sollte), dass wir uns vergewissern können, über das Gleiche zu sprechen.

 

Diese Bezeichnung führt auch dazu, dass diejenigen, die hassen, worüber wir sprechen, es auch hassen, dass sie ihren Hass nicht mehr in ein einzelnes Wort gießen dürfen. Sie fühlen sich dadurch unterdrückt. Sie fühlen sich unterdrückt durch die „politisch korrekte“ Ausdrucksweise und die Geisteshaltung, die ihr zugrunde liegt: den Respekt vor anderen Menschen. Diese Leute meinen, dass sie das Recht haben müssten, ohne Maske einkaufen zu gehen und ihre Mitmenschen zu hassen, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Natürlich sind das keine moralischen Kriterien, sondern Herkunft und Aussehen.

 

Keine Frage: Deutschland gehört, wie die meisten Staaten der Welt zur Gruppe der Abstammungs-Demokratien. Demokratien also, denen man nur angehören kann, wenn man die richtigen Vorfahren hat. Immerhin: wer in Deutschland geboren ist, kann sich mit 18 für die deutsche und nur die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden. Außerdem kann man 4 Jahre in das Sozialsystem einzahlen, um offiziell dazu zu gehören. Denn letzten Endes geht es ja, wie eigentlich immer, ums Geld.

 

Einer anderen Kategorie gehören etwa die Vereinigten Staaten an. Hier ist Staatsbürger, wer das Kind mindestens eines amerikanischen Staatsbürgers ist oder wer auf amerikanischem Boden geboren wurde. Den amerikanischen Politologen Franzis Fukuyama (japanischer Abstammung – warum erwähne ich das?) veranlasst das, die USA als „Prinzipiengemeinschaft“ zu bezeichnen. Aber dieser Zusatz klingt besser als er ist. Ursprünglich war damit überhaupt nicht beabsichtigt, ein Kriterium zu schaffen, dass von Abstammung oder Religionszugehörigkeit absieht. Eigentlich sollte es die in den 13 britischen Kolonien auf nordamerikanischem Boden geborenen protestantischen (seltener katholischen) Angelsachsen, die sich mehr als Amerikaner denn als Engländer verstanden, von den erst kürzlich aus dem Mutterland zugezogenen trennen. Es ist also ursprünglich als ein Mittel der Unterscheidung konzipiert worden, nicht der Vereinigung.

 

Damit sollte vor allem verhindert werden, dass durch Zuzug königstreuer Briten die Vereinigten Staaten unterwandert würden und sich entweder wieder der Krone unterwerfen oder selbst eine Monarchie werden würden. Diese Furcht richtete sich in der Folgezeit auch gegen Katholiken, vor allem aus Irland. Denn da diese es ja gewohnt seien, dem Papst zu gehorchen, könnten sie auch die demokratische Gesinnung der Amerikaner untergraben.

 

Heute nutzt es wenig, auf amerikanischem Boden geboren zu sein. So grenzenlos sein Mundwerk auch sein mag, selbst der amerikanische Präsident Trump versteigt sich zwar nicht dazu, in den USA geborene Latinos direkt anzugreifen. Sein Hass richtet sich gegen diejenigen, die über die Grenze kommen, nur sie sind „Vergewaltiger“ und „Tiere“. Doch es ist klar, dass diese Herabwürdigung sich ebenso gegen die Latinos im Lande richtet, deren Eltern oder andere Vorfahren ja dementsprechend einmal Vergewaltiger und Tiere gewesen sein müssen, wenn sich in ihren Herkunftsländern nicht in der Zwischenzeit einiges geändert haben sollte. Und natürlich bedient er damit das alte Klischee vom „schwarzen Mann“, ohne ihn mit einem Wort zu nennen.

 

Und es wäre logisch, davon auszugehen, dass der amerikanische Staat nicht der Staat der Schwarzen sei, ganz gleich wieviel sie in zahllosen Schlachten für ihn geblutet haben, dass sie ihn nicht als den ihren empfänden und deshalb keinen Respekt vor ihm hätten und ihn angriffen. Aber paradoxerweise ist die Liebe der Schwarzen zu diesem Staat größer als ihre Rachegefühle. Vielleicht, weil sie keine andere Heimat haben und keine andere Zuflucht als seine Ideale. Wogegen sich ihr Zorn bisweilen richtet, wenn sie ausnahmsweise einmal Täter sind statt Opfer, sind Sachen, die Stellvertreter der Gesellschaft, die sie unterdrückt und deren Unterdrückung sich in Besitzverhältnissen ausdrückt.  Wogegen sich Hass und Furcht der Weißen richten, sind Menschen, die Leben farbiger Menschen, weil diese durch nichts Anderes Vertreten werden.

 

Und so spielt es in den USA gegenwärtig ebenso wie in den alten Stammes- oder Abstammungsgesellschaften Europas eine gewichtige Rolle, von wem man abstammt. Ausnahmen stellen die Regel auf die Probe, widerlegen sie aber nicht zwangsläufig (gemeint ist Obama).