Selbst, wenn heutzutage immer mehr Menschen akzeptieren, dass die Erderwärmung keine bloße Veränderung darstellt, sondern dass es sich um eine Katastrophe handelt, ist es dennoch wenig wahrscheinlich, dass sie deshalb in nächster Zukunft ihr Verhalten ändern werden.
Fragt man Rentner, die im Begriff sind, ein Kreuzfahrtschiff zu besteigen, ob sie wollen, dass ihre Enkel auf einem lebenswerten Planeten leben werden, werden sie diese Frage bejahen. Fragt man sie, ob sie dafür bereit seien, auf ihre Kreuzfahrt zu verzichten, werden sie Ausflüchte erfinden, um nicht darauf verzichten zu müssen. Sein Verhalten zu ändern, ist sehr schwer, zumal zwei Faktoren es stützten: die Befriedigung von Urinstinkten und das Verhalten anderer. Eigentlich kann man das auf die Befriedigung von Urinstinkten reduzieren. Denn kein Tier ist so sozial, macht sein Verhalten so sehr von dem anderer Menschen abhängig, wie der Mensch. Selbst ein Soziopath kann das Verhalten seiner Mitmenschen lesen und weiß, wie er ihr Verhalten so beeinflussen kann, dass ein für ihn vorteilhaftes Resultat herauskommt. Er vollzieht diese Kalkulation aber eben nur intellektuell und nicht emotional.
Schon Spinoza stellte im 17. Jahrhundert am Schluss einen langen und ausführlichen Werkes über die Moral fest, dass es unwahrscheinlich sei, dass ein Mensch, selbst wenn er verstünde, was gut sei, sein Verhalten dahingehend ändern würde. Das Problem: wir handeln in der Regel nicht bewusst und auf der Grundlage unseres Wissens, sondern intuitiv, auf der Grundlage unserer Erfahrungen (oder wie man damals sagte: unserer Begierden). Das hat sich in 2 Millionen Jahren Evolution auch bewährt. Wenn mich etwas nicht umbringt, erhält es mich offensichtlich am Leben. Dann sollte ich es unbedingt fortführen. So wurden jahrtausendelang auch sinnlose Rituale durchgeführt wie die Menschenopfer der Maya und Azteken, die die Sonne dazu bringen sollten, auch weiterhin aufzugehen. Die Gleichung „das bringt uns nicht alle um = das garantiert unser Überleben“ ist natürlich unvernünftig, weil ein Kurzschluss. Aber sie definiert den Weg des geringsten Risikos. Und wenn man nicht weiß, ob man dieses Jahr überlebt, ist jedes Risiko ein Risiko zu viel.
Unsere Vorfahren lebten immer unter sehr prekären Bedingungen. Noch unsere Großeltern oder Urgroßeltern kannten Hunger, in manchen Teilen Europas, wie in den armen Regionen Italiens, auch als ständigen, tagtäglichen Begleiter. Unter diesen Umständen macht man keine Experimente, d.h. man schlägt keine neuen Wege ein, wenn nicht das Leben akut bedroht ist. Das ist wohl auch mit ein Grund, warum sozialistische oder andere linke Regierungen in den meisten Ländern des Westens eher die Ausnahme darstellen. Die meisten Menschen wählen konservativ.
Nie zuvor hat der Mensch seine Umwelt so maßgeblich beeinflusst, dass sein eigenes Überleben davon abgehangen hätte. Und so leugnen auch heute viele Menschen diese Tatsache. Das wird dadurch erleichtert, dass diese Tatsache sich aufgrund ihrer Größe vor allem von Zahlen ableiten lässt. Und Zahlen sind abstrakt.
Außerdem sind wir mit so vielen Bedrohungen konfrontiert, dass man leicht abgelenkt wird. So fürchten, einer aktuellen Umfrage zufolge, mehr Polen als Deutsche den Klimawandel. Die Deutschen fürchten dafür Migration stärker. Das ist kein Wunder. Polen ist als relativ armes Land weitaus weniger Ziel von Migrationsbewegungen. Da Deutschland als reiches Land gilt, mit - im Vergleich zu Schweden – mildem Klima, ist es Traumziel vieler Migranten. Zumal es leichter erreichbar ist als die USA.
Dass allerdings beide Phänomene zusammenhängen, dass die Klimaerwärmung Migration begünstigt, wenn nicht auslöst, sehen viele nicht oder machen sie sich nicht ausreichend klar. Denn Klimaerwärmung wird in den nächsten Jahrzehnten Abermillionen von Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Die Komplexität der Problemzusammenhänge in der Welt ist neben ihrer Abstraktheit ein weiterer Grund dafür, dass sie so schwer zu fassen und so leicht zu ignorieren ist.
Wie schwer es ist, sein Verhalten zu ändern, weiß jeder, der versucht hat, mit dem Rauchen aufzuhören. Wenn es einem gelungen ist, kann man kaum noch die Argumentationswege verstehen, die man gegangen ist, um ein Verhalten zu verteidigen, das einfach nicht zu verteidigen ist. Es ist, als wäre die Sucht ein Lebewesen mit Überlebenstrieb. Das Gleiche gilt für alle Gewohnheiten.
Umso schwerer ist es, sein Verhalten zu ändern, wenn das, was man tut, nicht illegal ist, das betreffende Konsumgut leicht zu erreichen ist und „alle es tun“. In einer Gesellschaft seinen Fleischkonsum einzuschränken, in der Fleischkonsum ein Statussymbol ist, ist nicht leicht. Für viele Studenten gehört Vegetarismus geradezu zum guten Ton. Es ist ein Mittel, sich gegen den Rest der Gesellschaft abzugrenzen und zu zeigen, dass man verstanden hat und fähig ist, aus Informationen Handlungsrelevanz abzuleiten. Es bleibt zu sehen, ob sich dieses Verhalten auch dann verfestigt, wenn man beruflich angekommen ist. Das muss nicht bei allen der Fall sein.
Für den Einzelnen ist es extrem schwer, sein Verhalten zu ändern, solange der Nachbar nicht mitmacht. Da eine Verhaltensänderung zumindest am Anfang sehr schmerzhaft sein kann, vermeidet man sie so lange, wie möglich, d.h. solange man nicht größeren Schmerz aus der Beibehaltung der Gewohnheit erwartet oder einem nicht eine Belohnung für deren Änderung winkt.
Ich kannte einen Mann, der vor meinen Augen gestorben ist und bis zu seinem Tod ausschließlich rotes Fleisch gegessen, Unmengen an Bier getrunken und eine Zigarette nach den anderen geraucht hat, obwohl er wusste, dass er Herzkrank ist. Das ist natürlich ein Extremfall. Aber viele kennen wahrscheinlich einen Raucher, der im Krankenhausnachttisch eine Stange Zigaretten aufbewahrt, die er sich nach seiner Lungenkrebs-OP gönnt.
Und wie viele Paare und Individuen gehen in eine monatelange Therapie, um schädliche Verhaltensweisen abzulegen. Die Umsetzung des dort Gelernten kann dann noch einmal Jahre dauern, wenn sie überhaupt gelingt.
Wenn so viele Dinge gegen eine Verhaltensänderung sprechen, ist es von Politik und Wirtschaft verantwortungslos, wenn nicht zynisch, auf die „Eigenverantwortung“ des Aufgeklärten Bürgers zu setzen. Denn, wie schon Spinoza feststellte: aus Aufklärung folgt noch nicht Änderung der Gewohnheiten. Aber weder Staat noch Wirtschaft finanzieren uns eine „Umwelt-Therapie“. Es wird erwartet, dass wir uns selbst therapieren - dass wir das einfach irgendwie selbst schaffen. Das aber bedeutet, sich auf einen sehr unwahrscheinlichen Fall zu verlassen und den „Patienten“ Konsument im Stich zu lassen. Ihn im Stich zu lassen, bedeutet aber auch: ihn den Fängen der Wirtschaft zu überlassen, die alle psychologischen Tricks nutzt, um den Konsumenten zum Kauf zu verführen.
Stattdessen sollte die Politik ihrer Verantwortung gerecht werden. Verbote sind dabei nur eines von vielen möglichen Mitteln. Aber vielleicht ist es ein Mittel, um das man nicht herumkommen wird, bedenkt man, dass trotz permanenter Anhebung der Tabaksteuer immer noch rund 40% der Deutschen Rauchen. Als sehr effektiv hat sich aber bei der Raucher-Prävention die Aufklärung von Schulkindern erwiesen. Aufklärung muss hier vor allem in der Schule einsetzen. Aber der Staat sollte auch andere Kanäle wie Plakatwerbung nutzen, um vor den Gefahren des Konsums zuckerhaltiger Getränke und den Folgen der Fleischproduktion für das Klima aufzuklären. Auch die richtige Benutzung einer Biotonne ist für viele ein Buch mit sieben Siegeln. Hier wie in anderen Fällen setzt der Staat aber auf „Eigenverantwortung“. Wie realistisch ist das?
Das Umdenken muss hier beim Staat ebenso einsetzen wie bei Konsumenten und Wirtschaft. Keine Ecke dieser Trias kann sich ausnehmen. Dem Staat stehen dabei mit der Macht über die Verteilung von Abermilliarden an Steuermitteln starke Werkzeuge zur Verfügung, die er auch nutzen muss, wenn wir den apokalyptischen Reitern der Erderwärmung, Migration und Wassermangel entgehen wollen.