Trump der umgekehrte Whistleblower

23.10.2016

 

Es wird dieser Tage gerade im Zusammenhang mit dem Präsidentschaftswahlkampf in den Vereinigten Staaten davon gesprochen. Wir lebten in einem postfaktischen Zeitalter, in einem Zeitalter also, in dem Tatsachen keine Rolle mehr spielten, weil jeder ohnehin nur den eigenen Quellen vertraue, den Quellen, die die eigene Meinung bestätigen. Donald Trump wird hierfür als Beispiel genommen, weil er ungestraft Lügen verbreite, die seine Anhänger glaubten. Dies könne er sich deshalb leisten, weil er jeden, der seinen Lügen widerspreche, bezichtige selbst zu lügen. Dem deutschen Beobachter kann dieses Schauspiel nicht fremd sein. Und es verwundert ein wenig, dass der Vergleich mit der Demagogie Hitlers und dem Dritten Reich, die Verbindung zwischen „Postfaktizität“ und „Propaganda“ nicht gezogen wird, jedenfalls nicht laut. Vielleicht ist diese Parallele auch einfach zu offensichtlich.

Es ist fraglich, ob die Anhänger Donald Trumps wirklich die leichtgläubigen Trottel sind, als die sie dargestellt werden. Keine Frage ist allerdings, dass Trump ein ehrsüchtiger Halunke ist, dem es nur um seine „dignitas“, seine Würde geht, wie einst Julius Caesar. Was nun aber seine Anhänger angeht, so sind diese von der politischen Elite enttäuscht. Sie sind Opfer eines Prozesses, den Fukuyama in seinem zweibändigen Werk „The Origins and Decay of Political Order“, dessen zweiter Teil 2015 erschienen ist, als 'Repatrimonialisierung' und 'Verlust der Repräsentation' bezeichnet. In diesem Prozess wird die Interessenbildung mehr und mehr von Lobby-Einrichtungen beeinflusst. Der Wähler hat dabei zunehmend den Eindruck an der politischen Entscheidungsfindung nicht mehr beteiligt zu werden, die immer weniger in seinem Sinne verlaufe.

Der Verdacht, zu kurz zu kommen, hintergangen zu werden, ist in der Geschichte der Politik indes nichts Neues und hat Politikern stets zu seinem Stimmenreservoir verholfen, die nicht allesamt Demagogen waren. Die amerikanische Partei der Demokraten war ursprünglich als Vertretung der in Washington unterrepräsentierten Farmer und Rancher der Frontier-Gebiete, der neu besiedelten Randgebiete der USA gegründet worden und fungierte daher auch während des amerikanischen Bürgerkrieges als Interessenvertretung der ländlichen Südstaaten gegenüber den stärker städtisch und industriell geprägten Nordstaaten im Kongress. Auch Lincoln selbst hatte in seinem Wahlkampf mit seinem Image des Burschen vom Lande geworben – erfolgreich, wie man weiß. Seither haben nicht wenige Präsidenten ihre Wahl unter anderem diesem Image zu verdanken, übrigens überwiegend republikanische, wie Ronald Reagan und George W. Bush.

George W. Bush war übrigens der erste Präsident, der ohne nennenswerten politischen Grund gewählt worden war, eigentlich nur, weil er der sympathischere Kandidat war, der 'guy next door'. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn man bedenkt, dass er Sohn eines Präsidenten war. Sein Wahlsieg war auch denkbar knapp und fragwürdig, so dass er außerdem als erster Präsident der Nachkriegszeit in die Geschichte eingegangen ist, dessen Wahl die Vereinigten Staaten tief gespalten hat. Reagan hatte immerhin noch ein außenpolitisches Programm: das Ende der 'Apeacement-Politik' gegenüber der Sowjetunion, die Überzeugung, den Kalten Krieg gewinnen zu können! Vom folgenden Boom der 90er Jahre profitierte der Sunny-Boy Clinton unverdient. Bush führte in einer Zeit Wahlkampf, in der es keine außenpolitischen Themen mehr gab, der Abschwung aber noch nicht spürbar genug war, um mit ihm Politik machen zu können.

Was bedeutet es vor diesem Hintergrund also, dass Trumps Anhänger, die von den Medienvertretern, die selbst zur Zeit noch eine Anstellung haben, gerne als „Verlierer“ verhöhnt werden, offenbar keinen erhöhten Wert auf Fakten legen? Es bedeutet, dass sie vom politischen System enttäuscht genug sind, um auf Argumente zu verzichten. Und diese Enttäuschung entspringt keiner Wahrnehmungsstörung, sondern Tatsachen, Fakten eben – in erster Linie der Tatsache des Auseinanderklaffens der Schere zwischen arm und reich, nicht weil die Besten es geschafft haben, sondern weil das System in erster Linie zugunsten der Reichen funktioniert, die die Mittel besitzen, es dazu zu bringen, zu ihren Gunsten zu funktionieren. Diesen Prozess hat es in den Vereinigten Staaten immer gegeben. Bisher hat sich immer ein Weg gefunden, ihn ein wenig zurückzudrehen wie der New Deal Roosevelts oder der zweite Weltkrieg. Zur Zeit ist ein solcher Hebel, der die Dinge gerade rücken könnte, aber nicht in Sicht. In Ermangelung einer Alternative greifen unter diesen Umständen viele zum Vollpfosten Trump. Da wir hier (je nach Umfrage) über mehr als 40% der Befragten reden, ist es sehr unwahrscheinlich, dass es nur um die Schlechtweggekommenen handelt. Trump mobilisiert auch die Empörten, denen es zwar noch gut geht, aber nicht mehr so gut wie noch vor Jahren und die vor allem wütend macht, dass es im Spiel des amerikanischen Kapitalismus nicht mehr mit rechten Dingen zugeht. Der Amerikaner ist bereit, große ökonomische und soziale Härten zu ertragen, solange er glaubt, seinen Status verdient zu haben. Dieser Glaube kommt immer mehr Amerikanern abhanden. Es sind also die Ungläubigen, die Trump hinter sich schart und das ganz allein aufgrund einer einzigen Eigenschaft: er gehört nicht zum politischen Establishment. Damit wäre Trump, sollte er gewählt werden, der erste Präsident, der ausschließlich deshalb gewählt wurde, und würde damit nach Lincoln, Reagan und Bush junior wieder einmal Maßstäbe setzen, zum einen wegen der 'Kontrafaktizität' (eigentlich der Afaktizität) seines Fäkal-Wahlkampfes, zum anderen, weil er aufgrund eines einzigen Aspektes seines Images gewählt werden würde. In der Dreistigkeit seines Wahlkampfes spiegelt sich die Wut seiner Anhänger.

Aber Trump ist kein singuläres Phänomen. Wenn man sich sein Wahlkampfteam anschaut, wird man sehen, dass es ein Sammelbecken der Ultrarechten ist. Auch seine Pöbeleien sind taktisch. Seine Wähler können sich relativ sicher sein, dass er sich mit dem Washingtoner Establishment nicht wird arrangieren können, wenn er erst einmal gewählt ist, weil er jetzt schon so viel Porzellan zerschlägt, dass die Gegenseite sich nicht wird arrangieren wollen. Einem bereiten Publikum wurde er zudem als Star seiner eigenen Fernsehsendung bekannt (The Apprentice), in der seine Hauptaufgabe im Grunde darin bestand, Bewerber abzulehnen. Er sagte dazu selbst einmal in einem Interview, obwohl er Menschen möge, sei er durch eine Sendung beliebter geworden, in der er Menschen entlasse. Die Aufrichtigkeit seiner Menschenliebe sie einmal dahingestellt. Dass er Leute feuere, in Washington aufräume, ist jedenfalls, was seine Wähler von ihm erwarten. Und dabei ist ihnen sein Charakter gleichgültig.

Die Afaktizität unserer Zeit rührt letztlich von der allgemeinen freien Zugänglichkeit von Massenmedien her. Schon während der Reformation wurde der Papst auf Flugblättern als Antichrist auf dem Papstthron verhöhnt, in Wort und Bild. Augustus lies Mark Anton auf Münzen in einer seidenen Tunika darstellen, als dekadenten, orientalisierten Günstling Kleopatras also. Diese Art des Umgangs mit dem Gegner ist also grundsätzlich nicht neu, auch innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft oder Nation. Relativ neu ist er allerdings in der politischen Landschaft der USA, wo bis vor kurzem noch gewissen Anstandsregeln galten. Anstandsregeln achtet man aber nur gegenüber Seinesgleichen. Es begann mit der Hetzkampagne der politischen Rechten gegen 'Obamacare', Präsident Obamas Gesundheitsreform, in deren Zuge der Präsident als Kommunist bezeichnet, im amerikanischen Kontext muss man sagen: beschimpft, und mit dem Joker aus 'Batman' verglichen wurde, dessen einziges Ziel die Zerstörung ist. Der Vergleich mit einem Antichristen auf dem Papstthron wurde hier nur formell gemieden. In ihrer Intensität kommen diese Vergleiche dem aber gleich!

 

2015 schrieb der französische Philosoph de Lagasnerie in seinem Buch über das Phänomen des Whistleblowers, dieser zeichne sich gegenüber dem bisher bekannten und verbreiteten Typus des couragierten Bürgers dadurch aus, dass er zum einen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Systems stehe und zum anderen den Staat als ganzes nicht nur verbessern wolle, sondern grundsätzlich infrage stelle. Ich bezweifle, dass all dies tatsächlich auf den Whistleblower zutrifft. Auf Trump allerdings trifft es in vollem Umfang zu! Und so steht Trump ebenso innerhalb wie außerhalb des politischen Systems der USA, wie ein umgekehrter Whistleblower.  Darin besteht sein REiz für alle, die den Glauben an das System grundsätzlich verloren haben.

 

 to be continued

 


Freiheit und Gefangenschaft

Erst, wenn wir erkennen, dass unsere Freiheit eine Illusion ist, werden wir erkennen, dass unsere Bedingtheit eine Illusion ist.

Dialog:

Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass wir in einer Welt leben, die uns in manchen Dingen einschränkt und in manchen Dingen Freiheiten gewährt. Nun ist es aber so, dass diese Annahme nicht weniger aber auch nicht mehr ist als eine Annahme. Und Annahmen kann man ändern! Wenn wir nun erkannt haben, dass man Annahmen ändern kann, wer sind wir dann? Sind wir dann noch abhängig von dem, was die Welt uns auferlegt oder erlaubt?

Sicher nicht.

Sind wir dann mehr oder weniger als die Welt? Stehen wir dann über oder außerhalb der Welt? Nehmen wir in ihr etwa den höchsten Rang ein?

Alle diese Positionierungen machen nur so lange einen Sinn, wie wir das Spiel spielen, das auf der Grundannahme basiert, dass es eine Welt gibt, die uns Freiheit und Unfreiheit vorgibt. Sehen wir von dieser Annahme ab, macht es auch keinen Sinn mehr innerhalb des Spielfeldes "Welt" irgend eine Position einzunehmen. 

Sind wir dann  Zuschauer?

Vergiss das Spiel!

Erklärung: 

Ich fordere nicht dazu auf, alles hinter sich zu lassen und die Erleuchtung zu erlangen, auch nicht dazu, den Blick nur noch nach oben zu richten -  so edel und bewundernswert diese Haltungen auch sind! Ich möchte auch nicht von ihnen abraten. Respekt gebührt jedem, dem es gelingt, sie einzunehmen.

Sich als Teil von etwas zu verstehen oder Regeln unterworfen, macht Sinn zwischen Arbeitsantritt und Feierabend und insofern man Arbeitnehmer ist.

Raum, Zeit und Begriff sind Mauern. Aber um einen Raum zu umschließen, braucht man vier Wände. Die vierte Wand fehlt. Daraus folgt, dass wir auch dann frei sind, wenn es uns nicht so erscheint.

Die Regeln der Natur zu kennen - die Grenzen, die sie uns setzt und die Möglichkeiten, die sie uns bietet - ist sinnvoll, wenn man ein Flugzeug konstruiert. Sofern man dies alles aber nicht tut, macht es keinen Sinn, so zu denken. Es geht nicht darum, dass wir uns immer auch anders entscheiden könnten. Das ist wahr. Wichtiger ist aber: wir alle sind mehr als das, was wir tun, nicht erst nach Feierabend sondern auch während wir es tun!

 

 


Die Diktatur der Kunst

Kunstinteressierten wird der Name Jonathan Meese ein Begriff sein. Alle anderen seien entwarnt. Es wird hier nur am Rande um Kunst gehen. Aus der Fülle dessen, was über Meeses Werk gesagt werden kann, sein nur der Begriff der „Diktatur der Kunst“ herausgegriffen. Meese ruft die Diktatur der Kunst zum einen aus, zum anderen prophezeit er sie und nimmt dabei als „Ameise der Kunst“ ganz im Habitus der alttestamentarischen Propheten den Habitus des unwürdigen Dieners ein. Die Diktatur der Kunst, so Meese, werde 'alternativlos' kommen. Natürlich kennen wir den Begriff der Alternativlosigkeit als Selbst-Legitimation der Politik Angela Merkels. Und so lässt sich die Verwendung dieses Begriffs ohne weiteres als Persiflage verstehen. Aber lassen wir die Frage nach der Ernsthaftigkeit der Forderung/Prophezeiung einmal beiseite. Sie verdeckt das Wesentliche.

Für Meese ist klar, dass die „Diktatur der Kunst“ unausweichlich sei. Er verkündet sie wie Spengler den Untergang, genauer: die Versteinerung des Abendlandes verkündete: als Wahrheit. Komplexer war Nietzsches Herangehensweise an das Problem der Zukunft. Sein Übermensch war notwendig und zugleich etwas zu wollendes. Auch Nietzsches Übermensch war Künstler und zugleich Kunstwerk seiner selbst.

Bedenkt man, dass wir laut Jürgen Habermas in einem Zeitalter leben, in dem die Bereiche der Politik und der Wirtschaft mit ihren Medien Macht und Geld in die Lebenswelt eindringen, kann man die Diktatur der Kunst auf Antwort auf diesen Prozess verstehen oder aber auf diese Theorie. Habermas gehört nach den Vertretern der sogenannten Frankfurter Schule im Wesentlichen Karl Marx, versucht aber, seine Theorie auf der Grundlage der modernen Soziologie neu zu denken. ER bezieht sich dabei in seinem wohl bedeutendsten, jedenfalls am meisten beachteten Werk „ Die Kommunikative Vernunft“ unter anderem aufs Max Weber, den viel zitierten und wenig gelesenen (noch weniger überprüften) deutschen Soziologen vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Da auch der Untergangsprophet Oswald Spengler stark von Weber beeinflusst war, verwundern Parallelen über den Ablauf der Geschichte bei Beiden nicht. Spengler sieht in der Zivilisation, im Wesentlichen Weber folgend, die Herrschaft des Materiellen, die Diktatur der Äußerlichkeit, wenn man so will. Innerliche Dinge wie Glaube und Gefühl spielten in ihr immer weniger ein Rolle. In der Politik herrsche zu seiner Zeit noch das Geld, das im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts aber zunehmend durch die Gewalt verdrängt werden werde.

In seiner negativen Haltung gegenüber dem Geld, ja gegenüber Geld und Macht, folgt Spengler Nietzsche. Sie war aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet. Spengler selbst beklagte, dass das Verständnis der Gelehrten vom Geld ausschließlich auf Georg Simmels Vorlesung zu diesem Thema beruhe und sie Geld deshalb für einen praktischen Ersatz für Kleinvieh hielten. Auch heute ist diese Klage von Seiten von Experten häufig zu hören (wie Heinsohn und Steiger) und wohl nicht ganz unberechtigt, wenn auch ebenso wenig völlig zutreffend. Simmels Simplifizierung ist aber Ausdruck der Haltung der meisten Menschen und ihrer Sorge, das Geld könne sich von den Dingen, vom Alltag, von der Lebenswelt verabschieden, sich verselbständigen und gegen ihn wenden wie der Sohn in Aristophanes 'Die Richter', der von seinem Vater zu den Sophisten geschickt wird, um alle Prozesse zu gewinnen und zurückkehrt, um den Vater zu verklagen. Auch Endzeitszenarien wie „Terminator“ oder „The Matrix“ artikulieren diese Furcht vor den Geistern, die der Mensch selbst rief, der Furcht vor einem Sklavenaufstand der Technik, des Internets, der Börsen, der Werkzeuge.

Diese Angst setzt im Grunde das fort, was Marx erhoffte. Nachdem die Bürger, vormals Diener der Adeligen, sich gegen die Adeligen erfolgreich aufgelehnt hatten, würden die neuen Herren nun das gleiche Schicksal erleiden: die Proletarier würde sich gegen die Kapitalisten auflehnen. Georg Friedrich Hegel hatte der Revolution im Konzept vom Knecht, der aufgrund seines gewachsenen Selbstbewusstseins und dank der Überlegenheit seiner Fähigkeiten den Herrn überwunden habe, ein theoretisches Denkmal gesetzt, den Putsch im Nachhinein philosophisch als Naturprozess legitimiert. Marx dachte sie linear weiter. Doch die Kapitalisten reagierten rechtzeitig mit Gewalt und Bestechung und fingen das revolutionäre Potential so genial ein, dass sie ihre Arbeiter sogar in blutigen Kriegen weltweit gegeneinander hetzen konnten. Genau davor hatte Marx gewarnt. Man sollte sich seine Revolution nicht abkaufen lassen. Der Mensch scheint zwar unbelehrbar. Aber man kann den Philosophen nicht vorwerfen, sie würden es nicht versuchen.

Eine herausragende Stellung hatte Schelling, der bedeutende Philosoph des Idealismus der Kunst zugesprochen. Im Unterschied zu Hegel sieht er in der Philosophie nicht alleine sondern in Kooperation mit der Kunst das Element, das alle Widersprüche, das Denken und Handeln, Natur und Geschichte miteinander vereine. Die Kunst vollbringe dabei im Praktischen, was die Philosophie theoretisch leiste. 

Meese sagt, bei der «Diktatur der Kunst» gehe es um die „liebevollste Herrschaft einer Sache, wie Liebe, Demut und Respekt, zusammengefasst und gipfelnd in der Herrschaft der Kunst. In der Allmacht der Kunst geht es nicht um das Machtgehabe des Künstlermenschen oder um die Machtfantasien von Selbstverwirklichern und Realitätsfanatisten, sondern um die antinostalgische, alternativlose Macht der Kunst, also der Sache. Kunst stellt die Machtfrage, nicht der Künstler.“ (Tages-Anzeiger, 6. März 2008

Nun sind Liebe, Demut und Respekt Gefühle, die Menschen, oder allgemeiner: Personen harmonisch miteinander verbinden, also das leisten, was Schelling zufolge die Kunst eben leisten solle. Meese vollbringt dies praktisch in zwei Richtungen: zum einen in seiner Kunst selbst, in der er deren Diktatur fordert, aber auch in Gestalt von 'Atlantisis' darstellt, zum anderen in Interviews, in denen er über seine Kunst spricht. Da er auch das Mittel der Performance wählt, verschwimmen die Grenzen zwischen den Darstellungsformen. Alles wird Kunst. In der Macht der Kunst geht es letztlich um die Macht der Liebe, wie aus diesem Zitat deutlich wird, der Liebe aber in ihrer materialisierten Form. Meese steht damit in einer langen Tradition der Apokalyptik. In dieser Tradition, die beim Eingreifen eines Gottes ins Weltgeschehen begann, wurde diese persönliche Instanz immer mehr durch Prinzipien wie die Liebe oder kulturelle Praktiken wie die Kunst ersetzt. Dabei verbindet Meese die Kunst mit historischer Apokalyptik a la Marx oder Spengler und stellt sich der, von Weber und Habermas konstatierten, drohenden Diktatur von Geld und Macht entgegen.